In der deutschen Fußballszene zieht derzeit eine bemerkenswerte Aktion ihre Kreise: „Ihr könnt auf uns zählen!“ – unter diesem Motto rufen rund 800 Spieler und Spielerinnen aus dem deutschen Profifußball zu mehr Toleranz auf. Sie wollen homosexuelle Fußballer nicht zum Outing drängen, aber ihnen den Rücken stärken.
Nach wie vor ist besonders im Männerfußball Homosexualität ein Tabuthema. Auch im Jahr 2021 gibt es in den deutschen Profiligen keinen offen homosexuellen Spieler. Das Magazin 11Freunde hat sich jetzt der Botschaft der Initiative angenommen – und damit für eine Welle der Solidarität gesorgt. Es gibt aber auch Kritiker wie Ex-Bayern-Profi und Weltmeister Philipp Lahm. Er rät von einem Outing während der aktiven Karriere ab: Derzeit seien „die Chancen gering, so einen Versuch in der Bundesliga zu wagen und halbwegs unbeschadet davonzukommen“.
Klingt wenig ermunternd. Besser macht es Union-Berlin-Star Max Kruse, einer der 800 Unterzeichner der Aktion: „Wenn sich einer meiner Kollegen outen würde, würde ich ihn vor den Idioten draußen schützen.“ Richtig so! Auch im hiesigen Fußball zeigt man sich solidarisch und aufgeschlossen.
Henryk Kuzbik-Ebel (FC Dynamo Lüneburg): „Natürlich unterstützen wir als FC Dynamo die Aktion. Es kann nicht sein, dass sexuelle Orientierung ein Grund für Anfeindungen ist. Gerade im Fußball scheint dies immer noch ein Problem zu sein. Deswegen müssen wir Homophobie entschieden entgegentreten. Bei Dynamo haben in der Vergangenheit viele Spieler aus verschiedenen Herkunftsländern und Kulturen gespielt. Auch homosexuelle Spieler waren dabei. Wie begrüßen diese Vielfalt und Diversität und können andere Vereine nur dazu auffordern, dies zu fördern. Auch unsere Fanszene ist in dieser Hinsicht sehr aktiv. So gab es Ende 2019 (noch vor Corona) die Aktion ‚Fussballfans gegen Homophobie‘.“
Guido Schierle und Lennart Holzhütter (TSV Bardowick): „Die Welt ist bunt – der Fußball sollte es auch sein! Es schockiert uns und stimmt uns nachdenklich, dass wir im Jahr 2021 noch über dieses offensichtlich tabuisierte Thema sprechen müssen. Grundsätzlich würden wir jede Spielerin und jeden Spieler dazu anregen, zu sich selbst zu stehen. Aus unserer Sicht gehört die sexuelle Orientierung essenziell dazu.
Um die Akzeptanz bei den Fußballbegeisterten und der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen, würden wir befürworten, dass möglichst viele Spielerinnen und Spieler an die Öffentlichkeit treten, eventuell auch gemeinsam. Je mehr diesen Schritt vornehmen, desto geringer ist der Fokus auf die Einzelperson, sodass die Aufmerksamkeit der Sache geschenkt wird. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht, wenn der DFB eine Anlaufstelle bereitstellte, sodass sich Sportlerinnen und Sportler anonym zusammenfinden und später gemeinsam in großer Zahl an die Öffentlichkeit treten könnten.
Aktive Sportler und Sportlerinnen sind fester Bestandteil des öffentlichen Lebens. Allerdings sollte ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr Privatleben privat zu halten. Manche wollen ihre Familien aus der Öffentlichkeit heraushalten und wir haben volles Verständnis, sollte sich jemand nicht zu diesem Thema äußern wollen. An dieser Stelle möchten wir aber eindringlich appellieren, dass dies nicht aus Angst vor Stigmatisierungen und Anfeindungen geschehen soll, sondern aus reinem Schutz der Privatsphäre.“
Ole Springer (bis 2020 LSK, heute Werder Bremen U23): „Ich finde es beschämend, dass wir es noch nicht geschafft haben, das Thema, das in der Gesellschaft mehr als angekommen ist, in den Fußball zu übertragen. Leider fehlte es meiner Meinung nach bis zu dieser Aktion auch an den nötigen Anstrengungen, das Thema mal auf die Agenda zu bringen. Dabei hat der Fußball doch eine Vorbildfunktion.
Mir tut es für die Spieler leid, die sich nicht frei genug fühlen, sich zu outen. Solange aber noch nicht absehbar ist, wie die Reaktionen etwa in den Stadien, in sozialen Netzwerken, aber auch innerhalb der Mannschaften ausfallen, ist es schwierig, Spielern zum Outing zu raten. Wir alle müssen die Grundlage schaffen, damit sich Spieler trauen.“
Lukas Pägelow und Tomek Pauer (Lüneburger SK): „Leider leben wir auch im Jahr 2021 in einer Gesellschaft ohne einen einzigen offen homosexuellen Fußballer in den deutschen Profiligen. Diese Tatsache ist angesichts der Offenheit und Toleranz, die wir uns als Gesellschaft erarbeiten, sehr zu bedauern und sie untermauert, wie groß die Angst offenbar nach wie vor ist, nach einem Coming-Out angefeindet, beschimpft, ausgegrenzt oder beleidigt zu werden. Wir können uns nicht vorstellen, wie es sich anfühlen muss, seine Liebe nicht frei ausleben zu können, und wünschen uns für die betroffenen Kollegen einen drastischen Kulturwandel in unserer Fußballlandschaft. Auch wir möchten uns dem Statement anschließen und versprechen: Ihr könnt auf uns zählen! Wir werden hinter euch stehen und euch vor sämtlichen Anfeindungen von außen verteidigen.“
Celina Böhm (Bundesliga-Schiedsrichterin von Eintracht Lüneburg):„Der norwegische Spitzenschiedsrichter Tom Harald Hagen hat seine Homosexualität öffentlich gemacht, woraufhin viele positive Reaktionen folgten. Ich wünsche mir, dass andere Fußballer, Fußballerinnen, Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen ebenfalls diesen Schritt wagen und sich dadurch ermutigt fühlen – natürlich nur, wenn sie für ein persönliches Outing bereit sind. Der Fußball spielt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle und könnte mit mehr Diversität ein bedeutendes Zeichen setzen.“
Christoph Ortmann (Vastorfer SK): „Ich bin sehr tolerant und gehe davon aus, dass auch unter den Fußballern den meisten völlig egal ist, welche sexuelle Orientierung die anderen Spieler haben. Es ist aber schade, dass man immer noch über dieses Thema reden muss. Schwulenhass gehört genauso wenig in den Sport wie beispielsweise Rassismus. Es wäre schön, wenn diese Themen bald aus der Öffentlichkeit verschwinden, weil Homosexualität und fremde Herkunft endlich als völlig normal akzeptiert sind.“
René Hußmann (MTV Treubund): „Der Umgang mit dem Thema Homosexualität muss alltäglicher werden. Daher finde ich, dass Profifußballer sich outen sollten. Sie sind Vorbilder mit einem immensen Einfluss neben dem Platz. Stehen solche Personen öffentlich zu ihrer sexuellen Ausrichtung, hilft das hoffentlich einerseits, das Tabu des Themas zu beseitigen, und ermutigt andererseits möglicherweise mehr Menschen, ebenfalls diesen Schritt zu gehen.“