Lüneburg. Pandemie, Fachkräftemangel, ausufernde Bürokratie, explodierende Kosten – die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser ist so dramatisch wie noch nie. Im September vorigen Jahres schlugen die Geschäftsführer der Kliniken aus Nordost-Niedersachsen gemeinsam Alarm. Was hat sich seitdem getan? Darüber sprach LP-Redakteurin Meike Richter im Interview mit Dr. Michael Moormann, Geschäftsführer des Lüneburger Klinikums.
Herr Dr. Moormann, im vorigen September haben Sie mit Geschäftsführern anderer Kliniken Alarm geschlagen: 90 Prozent der Häuser schreiben rote Zahlen. Die Lage wurde als „alarmierend“, „beängstigend“ und „dramatisch“ beschrieben. Sie forderten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zum Handeln auf. Hat er das getan?
Dr. Michael Moormann: „Leider nein. Bislang haben uns von Herrn Lauterbach überwiegend Versprechungen erreicht. So wie die angekündigten Hilfsmaßnahmen ausgestaltet werden, kann das versprochene Geld nicht bei den Krankenhäusern ankommen. Wir Kliniken gehen davon aus, dass von den angekündigten Hilfen in Höhe von sechs Milliarden Euro nur zwei bis drei Milliarden ausgezahlt werden. Der Rest verbleibt wohl im Bundeshaushalt. Nach Expertenschätzungen fehlen den Kliniken aber 15 Milliarden Euro.“
„Das Timing könnte schlechter nicht sein“
Lauterbach sagt: „Wir stehen am Vorabend einer notwendigen Revolution im Krankenhaussektor.“ So sollen die Fallpauschalen neu reguliert werden. Ist das ein guter Ansatz?
Moormann: „Die Änderungsvorschläge gehen grundsätzlich in die richtige Richtung. Allerdings darf man nicht vergessen: Revolutionen sind gekennzeichnet von Chaos, Unsicherheit und haben einen unbestimmten Ausgang. Im direkten Anschluss an die Bewältigung einer Pandemie, die ja noch immer nicht vollständig überwunden ist, möchte er den Krankenhaussektor auf links drehen. Das Timing könnte schlechter nicht sein. Unsere Mitarbeiter in den Krankenhäusern bräuchten nun eine Zeit zum Durchatmen.“
Was müsste Ihrer Meinung nach in den Reformplan, damit es wirklich eine Revolution im Krankenhaussektor gibt?
Moormann: „Hier von einer notwendigen Revolution zu reden, ist meiner Meinung nach ein Offenbarungseid der Politik. Der Anteil der Krankenhausausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist seit den 1990ern konstant geblieben – und das vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung. Seit den Zeiten von Horst Seehofer als Gesundheitsminister jagt eine Reform die nächste.
Natürlich benötigen wir Änderungen: Es ist eine Binsenweisheit, dass Krankenhäuser acht bis neun Prozent ihres Umsatzes jährlich reinvestieren müssen, um den Stand der Technik aufrechterhalten zu können. Die für die Investitionen verantwortlichen Bundesländer haben die Investitionsquote in den vergangenen 30 Jahren auf circa drei Prozent zurückgefahren. Jedem Unternehmer und jeder Unternehmerin sträuben sich die Haare, weil damit die Zukunftsfähigkeit gefährdet wird. Das zeigt sich vor allem beim Thema Digitalisierung. Aufgrund fehlender Investitionsmittel stehen wir im europäischen Vergleich nicht gut da.“
Lünepost: Kritisiert wird immer wieder der hohe bürokratische Aufwand für das Personal. Sieht die Reform dort auch eine Überarbeitung vor?
Moormann: „Das wäre schön, leider ist das Gegenteil der Fall. Aus unserer Sicht werden die bürokratischen Hürden bei jeder Neuerung noch höher. Und das, obwohl die Maßnahmen eigentlich zur Einsparung von Ressourcen führen sollen. Wir haben das bei der Einführung der tagessstationären Behandlung erlebt. Der vorgegebene Prozess ist reine Theorie und hat mit tatsächlichen Abläufen im Krankenhaus wenig zu tun.“
„Strategisches Handeln ist unmöglich!“
Bis zur Sommerpause soll ein Vorschlag zur neuen Vergütungs- und Planungsstruktur entwickelt werden, der mit den Ländern zu einem Gesetzentwurf weiterentwickelt werden soll. Wünschen Sie sich da ein anderes Tempo?
Moormann: „Ich wünsche mir vor allem Klarheit. Niedersachsen hat vor einigen Jahren eine Enquete-Kommission zur Sicherung der stationären Versorgung eingerichtet, in der Experten Rahmenbedingungen für eine zukunftssichernde Versorgung in einem Flächenland erarbeitet haben. Die Ergebnisse fanden Eingang in das neue Niedersächsische Krankenhausgesetz. Dies wurde im vergangenen Jahr verabschiedet, jetzt stehen wir unmittelbar vor der Umsetzung in Form einer Krankenhausverordnung. Und genau jetzt kommt der Bund mit einem neuen Vorschlag. Das ist so, als würden sie während eines Spiels die Spielregeln ändern. Das macht strategisches Handeln leider unmöglich.“
Wie geht es dem Klinikum Lüneburg aktuell finanziell? Damals sagten Sie, man schreibe 2022 einen Planverlust von vier Millionen Euro, wegen der stark gestiegenen Energiepreise seien sechs Millionen erwartbar.
Moormann: „Wir haben immer schwarze Zahlen geschrieben. Für 2022 wird das Klinikum erstmals seit der Ausgründung als gemeinnützige GmbH einen deutlichen Verlust ausweisen müssen. Die Auswirkungen der Pandemie, Lieferkettenproblematiken, Personalausfälle, Energiepreisexplosion – die Summe der Faktoren lässt sich nicht mehr kompensieren.
Wir Krankenhäuser dürfen ja, anders als andere Unternehmen, unsere Preise nicht erhöhen, weil wir an die Fallpauschalen gebunden sind. Wenn die Kosten so stark steigen, reicht Grundschulmathematik aus, um festzustellen, dass die Rechnung nicht mehr aufgeht.“
Zur Sprache kam bei der Runde im September auch der Personalmangel in der Pflege. Wie sieht es da in Lüneburg aus? Finden Sie immer ausreichend Personal?
Moormann: „Ich kenne kein Krankenhaus der somatischen Akutversorgung mehr, das seine Planstellen im Pflege- und Funktionsdienst vollständig besetzt hat.“
„Wir haben das Potential zum Maximalversorger“
Bei der damaligen Pressekonferenz blickte ich in sorgenvolle Gesichter der Klinik-Chefs. Ist Ihr Blick immer noch besorgt?
Moormann: „Was unsere Zukunft hier in Lüneburg angeht, bin ich optimistisch. Meine Sorgenfalten sind aber noch tiefer geworden, wenn ich mir andere Kliniken anschaue. Es gibt bereits zahlreiche Insolvenzen mit den damit verbundenen Konsequenzen für die Beschäftigten. Die Politik hat einen Strukturwandel initiiert, handelt aber nicht konsequent. Das birgt die Gefahr, dass auch Kliniken vom Markt gehen, die eigentlich – auch aus Sicht der Politik – für die Zukunft der stationären Versorgung wichtig wären. In Schleswig-Holstein zeigt sich gerade, was passiert, wenn große Versorgungskrankenhäuser vom Markt gehen. Die Mitarbeitenden finden sofort einen anderen Arbeitsplatz, die Versorgungsqualität der Bevölkerung sinkt dramatisch.
Diese Gefahr sehe ich in Lüneburg nicht. Hinter dem Städtischen Klinikum und der Psychiatrischen Klinik steht mit der Hansestadt ein Träger, der sich klar hinter die beiden Kliniken gestellt hat und die kommunale Trägerschaft außer Zweifel stellt. Außerdem sehe ich nicht, wie die stationäre Versorgung der Bevölkerung in der Region Nordost-Niedersachsen ohne uns gestaltet werden soll. Wir haben das Potenzial, uns hier in der Region zukünftig als Maximalversorger aufzustellen.“
Herr Dr. Moormann, vielen Dank für das offene Gespräch.