Lüneburg. Wie bringt man ein Jahr Polizeiarbeit in einen zweistündigen Pressetermin? Die Antwort lässt sich vorwegnehmen, nämlich gar nicht. Dennoch gaben sich Lüneburgs neue Inspektionsleiterin Stefanie Lerche, Kripochef Holger Burmeister und die Leiterin des Fachkommissariats Forensik, Ines Stellberger, am Dienstagmorgen alle Mühe, das vergangene Jahr umfassend Revue passieren zu lassen.
Fast 13.000 Straftaten in Lüneburg
„2022 war ein ereignisreiches- und arbeitsreiches Jahr“, sagte Polizeidirektorin Lerche, „es war das erste Jahr nach Corona und die Zahlen bewegen sich wieder auf, teils sogar über Vorniveau.“ Einen echten Vorjahresvergleich konnten die Kollegen jedoch nicht ziehen, stattdessen bemühten sie einen Mittelwert der vergangenen fünf Jahre zum Vergleich
Zu den nackten Zahlen: Insgesamt 12.702 Straftaten wurden 2022 in Stadt und Landkreis Lüneburg polizeilich registriert. Das sind knapp 800 mehr als im Jahr zuvor und 437 über dem Fünf-Jahres-Mittel. Aufgesplittet nach Delikten gab es 20 sogenannte Straftaten gegen das Leben (Mord, Totschlag). In 18 Fällen blieb es beim Versuch, zweimal kam es zu Todesfällen. Es gab 293 Sexualstraftaten (minus 18 zum Vorjahr) und 2376 sogenannte Rohheitsdelikte (plus 447), darunter fallen Raub, Körperverletzung und Bedrohung. 4411 Mal (plus 470) wurde in Stadt und Kreis etwas als gestohlen angezeigt und es gab insgesamt 1646 Sachbeschädigungen (plus 198). Als oberster Kripobeamter gab Holger Burmeister einen Einblick in die Arbeit seiner Kollegen. Sie waren 2022 ganz besonders mit Fahrraddiebstählen und Autoaufbrüchen, aber auch mit Ermittlungen in Fällen von Clankriminalität gefordert.
Lüneburg-Verbot für Hamburger Intensivtäter
Im Gesamtbereich der Polizeiinspektion, also in allen drei Landkreisen Lüneburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen, wurden im Vorjahr 1721 Fahrräder und E-Bikes als gestohlen gemeldet. Ein Großteil davon, nämlich 1153 Räder, verschwand in Lüneburg, meist in Bahnhofsnähe.
„Das Fahrrad ist nach wie vor ein attraktives und gut zu verkaufendes Diebesgut“, sagte Burmeister mit Blick auf die Beschaffungskriminalität der Drogenszene. Aber auch jugendliche Intensivtäter würden hinter der Serie stecken. Sie reisen mit dem Zug aus Hamburg an, knacken am Bahnhof Fahrradschlösser und nehmen das Rad dann im Metronom wieder mit nach Hamburg. „Im vergangenen Jahr haben wir da erstmals ein Aufenthaltsverbot für einen Minderjährigen aus Hamburg ausgesprochen“, berichtete der Kripochef. Der junge Mann darf Lüneburg nicht mehr betreten. Tut er es doch, drohen Haft und hohe Geldstrafe. Das habe Wirkung gezeigt: „Seitdem ist er nicht mehr in Lüneburg in Erscheinung getreten.“
Ein anderer Intensivtäter steckt hinter der auffallend hohen Zahl von Autoaufbrüchen. 150 von insgesamt 215 Fällen werden einem Täter zugerechnet, der inzwischen hinter Gittern sitzt. Auf die Frage, warum man den amtsbekannten Mann nicht schon früher habe verhaften können, antwortete Burmeister nur ausweichend, denn zuständig dafür war die Staatsanwaltschaft. Der Kripomann appellierte aber auch an die Autobesitzer, mehr Sorgfalt walten zu lassen. Denn der Serienaufbrecher habe nur dann zugeschlagen, wenn auch deutlich sichtbar Taschen oder andere Beute in den Autos lagen.
Polizeichefin Stefanie Lerche bereitet noch ein anderes Themenfeld Sorgen: Es ist die weiter zunehmende Gewalt gegen Polizisten und andere Einsatzkräfte. „Das ist inakzeptabel“, sagte sie mit Blick auf die 214 Fälle und 515 Opfer allein im Bereich Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen. Dazu kommen 15 Angriffe gegen Rettungskräfte mit 27 Opfern. „Wir werden bedrängt, bespuckt, mit dem Tode bedroht“, berichtete sie aus dem Arbeitsalltag ihrer Kollegen. „Dabei sind wir es, die helfen und schützen.“ 88 im Dienst verletzte Beamte gab es 2022. Der heftigste Fall ereignete sich in Uelzen. Dort war eine Polizistin im Einsatz mit dem Messer angegriffen worden. „Zum Glück ist das Messer an ihrer Schutzweste abgerutscht“, blickte Lerche zurück. Jeder Fall hinterlasse Spuren bei den Kollegen. Längst werde konsequent angezeigt. „Als ich früher im Einsatz war, hat man häufig noch gesagt: ‚Ach, ist egal.‘ Das ist heute nicht mehr so.“
Kripo-Chef: „Clankriminalität nervt“
Wenig Respekt wird Polizisten nach wie vor von kriminellen Clans entgegengebracht. Die Fallzahl sei hier zwar von 378 auf 298 gesunken, der Arbeitsaufwand bliebe dennoch immens. Eine Razzia hatte im September zur Festnahme des stadtbekannten Clanmitglieds Mohammed E. geführt. Ihm wird gerade vor dem Lüneburger Landgericht der Prozess gemacht. Drogengeschäfte im großen Stil. „Ich erwarte eine langjährige Haftstrafe“, sagte Kripochef Burmeister. Oft seien es aber auch nur einfache Maßnahmen wie Verkehrskontrollen. „Das nervt!“, sagte Burmeister und äußerte seinen Respekt gegenüber den Kollegen, die immer wieder dieselben Kandidaten als Falschfahrer oder -parker kontrollieren und dabei respektloses Verhalten von Clanmitgliedern über sich ergehen lassen würden.
Polizeichefin Stefanie Lerche beendete die Präsentation der Kriminalstatistik mit einer Frage: „Wie lange dauert es, bis Sie aus unseren Infos einen Artikel schreiben“, wollte sie von den anwesenden Journalisten wissen. Der LP-Redakteur hat seine mutig angegebenen zwei Stunden knapp einhalten können …