Lüneburg. Corona-Pandemie, Krankheitswellen, Lieferengpässe bei Medikamenten und Versorgungsmaterial – zahlreiche Operationen musste das Klinikum Lüneburg aus diesen Gründen in den vergangenen Monaten und Jahren zum Teil mehrfach verschieben. Noch immer arbeitet das Krankenhaus die Liste der verschobenen OPs ab. Die Warteliste bei Patienten ist lang.
Seit einigen Wochen kommen zusätzlich Mitarbeiterausfälle durch Streikaktionen hinzu. Verdi fordert für den öffentlichen Dienst, die Entgelte um über 10 Prozent, mindestens aber um 500 Euro monatlich zu erhöhen. Der Marburger Bund möchte für seine Ärzte ab 1. Januar 2023 lineare Erhöhungen im Umfang der Inflationsentwicklung seit Oktober 2021 und weitere lineare Erhöhungen um 2,5 Prozent.
Der heutige Mittwoch ist bereits der sechste Streiktag. Erneut hatte hat Verdi zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen, darunter auch die Pflegekräfte des Klinikums. Am gestrigen Dienstag mobilisierte der Marburger Bund zum ersten Mal seine Mitglieder – rund 50 Ärzte zogen durch die Lüneburger Innenstadt und forderten mehr Lohn.
„Viele Mitarbeiter sind am Limit“
Die Streiks haben natürlich Auswirkungen auf den Klinikalltag: „Das Nadelöhr ist dabei ganz klar der Operationsbereich, bedingt durch das Summenspiel der verschiedenen Ereignisse“, sagt der Ärztliche Direktor, Prof. Dr. Torsten Kucharzik. Er betont aber: „Die Notfallversorgung ist auch an Streiktagen gesichert.“ Doch nicht dringliche Operationen oder Behandlungen müssen verschoben werden. Als Beispiel: Fünf Streiktage bedeuteten 150 abgesagte Operationen. 30 Eingriffe pro Tag. „Ich habe absolutes Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen, dass sie vor allem auch wegen der Inflation auf die Straße gehen. Viele Mitarbeiter sind am Limit“, weiß Kucharzik. „Allerdings kann ich die häufige Abfolge der Streiks aus medizinischer Sicht nicht gutheißen. Es kommt zu Verzögerungen, die nicht nur aus Patientensicht, sondern auch aus medizinischer Sicht bedenklich sind.“
Der Ärztlliche Direktor sagt, es gäbe Patienten, die hätten Verständnis für die Streikaktionen. „Es erreichen uns aber auch zahlreiche wütende E-Mails oder Anrufe von besorgten Patienten und Angehörigen.“
Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen, die auch im Normalbetrieb eingesetzt werden, dürfen an Streiktagen nicht arbeiten. „Laut Verdi in Niedersachsen dürfen sie nicht einspringen, um die Folgen eines Streiks abzudecken“, erklärt Klinik-Geschäftsführer Dr. Michael Moormann. Bedeutet: „Streiken zehn unserer Klinikmitarbeiter, dann sind die Zeitarbeiter raus, der Betrieb steht fast still“, erklärt er.
Zu den Tarifforderungen habe er eine ambivalente Haltung, gibt der Klinikchef zu. Auch er habe Verständnis für seine Mitarbeiter und dass sie für mehr Lohn kämpfen. „Aber es geht auch um die Zukunftsfähigkeit des Klinikums.“
Forderungen sind nicht zu finanzieren
Die Forderungen von Marburger Bund und Verdi seien nicht finanzierbar. „Wir haben keinen wirtschaftlichen Spielraum. Wir Krankenhäuser dürfen ja, anders als andere Unternehmen, unsere Preise nicht erhöhen, weil wir an die Fallpauschalen gebunden sind. Wenn die Kosten so stark steigen, reicht Grundschulmathematik aus, um festzustellen, dass die Rechnung nicht mehr aufgeht.“ Moormann befürchtet, dass bundesweit eine Insolvenzwelle durch die Kliniken rollen wird. „Das befürchtet auch unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, aber tut nichts dagegen.“ Für das Lüneburger Haus kann Moormann beruhigen: „Da bin ich optimistisch, da befürchte ich erstmal keine Insolvenz.“
Was den Geschäftsführer aber auch stört: „Im Bereich des öffentlichen Dienstes gab es Vorschläge von den Arbeitgebern: eine Erhöhung von fünf Prozent gestaffelt in zwei Jahren, eine Einmalzahlung von 2500 Euro, zuzüglich der Anhebung für Sonderzahlungen, etwa für Nacht- und Wochenenddienste sowie des Weihnachtsgeldes. Dieses Angebot wurde als ‚Frechheit‘ abgestempelt.“ Die Forderungen der Gewerkschaften dagegen seien nicht erfüllbar.
Es wird wohl noch ein langer Verhandlungskampf sein zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften. Und es wird noch zahlreiche Operationen geben, die verschoben werden müssen. „Wir versuchen, sie so zeitnah wie möglich abzuarbeiten“, verspricht Pflegedirektor Michael Kossel. Zusammen mit dem Ärztlichen Kucharzik und Klinikchef Moormann fordert er für die Patienten: „Streiks bitte mit Augenmaß.“