Lüneburg. „Von 60.000 Schnelltests waren nur 254 positiv“ – mit dieser guten Nachricht als Top-Schlagzeile lag die Lünepost am vorigen Samstag in den Briefkästen der Leser. Als der Lüneburger Wolfram Gesien die Überschrift und den Bericht über die Testergebnisse an den Stationen von ASB und DRK in Lüneburg las, „fiel ich fast aus allen Wolken“, berichtet er.

Denn wenige Stunden zuvor hatte Gesien ein ganz anderes Bild der aktuellen Lage gewonnen.

„Bis zum Wochenende war ich vom Einsatz von Schnelltests überzeugt. Meine Meinung hat sich am vergangenen Samstag leider um 180 Grad gedreht“, erzählt der Lüneburger, „unsere Tochter war nach langer Zeit für ein paar Tage zu Besuch und wir beschlossen, da unsere Jogginghosen und Hausschuhe pandemiebedingt sehr verschlissen waren, nach über einem halben Jahr Shopping-Abstinenz in die Stadt zu gehen.“ Dort ist der Einkauf in vielen Geschäften bekanntlich nach Vorlage eines tagesaktuellen Coronatests wieder möglich.

Also suchten die Gesiens die Teststation des DRK am Marienplatz auf: „Schon beim Warten in der Schlange vor der Teststation bemerkten wir verwundert, dass mehrere vor uns Getestete ein positives Ergebnis erhielten“, erzählt Wolfram Gesien. Während sie nun selber auf ihr Ergebnis warteten, „spielten sich erschütternde Szenen vor unseren Augen ab“. Elf der etwa 15 Wartenden vor ihnen erhielten einen positiven Befund:

„Zwei junge Frauen brachen daraufhin in Tränen aus, ein Ehepaar mit Kleinkind wirkte total verzweifelt, weil beide positiv waren und sich nun Sorgen um ihr Kind machten, und drei junge Männer zogen frustriert von dannen, weil nun vermutlich nichts mehr aus dem gemeinsamen Bier in der Außengastronomie wurde“, erzählt Gesien.

Er gehörte zusammen mit seiner Frau und zwei weiteren Personen zu den wenigen, denen ein negatives Testergebnis in die Hand gedrückt wurde. Die Tochter war positiv und dementsprechend „völlig von der Rolle“.

Joachim Elspass ist Geschäftsführer des DRK in Lüneburg. Er bestätigt die ungewöhnliche Häufung: „Bei der Auswertung am Abend ist uns das gleich aufgefallen.“ Genaue Zahlen verrät er nicht, spricht lieber von „leicht erhöhten Zahlen bei den Positiven“.

Auch das Personal am Stand geriet an seine Grenzen. Schließlich läuft nach einem positiven Testergebnis ein Automatismus an: „Die Schutzkleidung muss gewechselt und alles desinfiziert werden. Dazu macht man sich als Helfer in der Situation natürlich auch seine Gedanken“, berichtet Elspass.

So viele Fälle in so kurzer Zeit – dass da etwas nicht stimmen konnte, war Wolfram Gesien schnell klar. Seine Vermutung: „Es hatte geregnet und der gesamte Tresen (auf denen die Tests lagen) war klitschnass. Die Temperaturen sind in kurzer Zeit von 19 auf 12 Grad gesunken.“ Da in den Gebrauchsanweisungen der Schnelltests stehe, dass sie empfindlich auf Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit reagieren, hatten die Gesiens eine Erklärung für die vielen positiv Getesteten in dieser halben Stunde. Eine ähnliche Ursache vermutet auch DRK-Geschäftsführer Elspass: „Ich tippe aufs Wetter, aber es kann natürlich auch sein, dass eine Charge nicht perfekt gewesen ist.“

Nach diesem Vorfall habe man die vielen Helfer noch einmal sensibilisiert, besonders auf trockene Lagerung der Testkits zu achten. „Sie sollen immer im kältesten Bereich der Teststationen gelagert werden“, nennt er ein Beispiel und betont: „Wir lagern die Tests bei uns wie die Medikamente.“

Fazit: Es war wohl eher kein Hotspot, der für Aufregung am Marienplatz sorgte – auch wenn der DRK-Chef die Ergebnisse der folgenden PCR-Tests bei den Positiven nicht kennt.

Für Familie Gesien war der geplante Einkaufsbummel vorbei: „Da unsere Tochter sich große Sorgen machte, buchten wir kurzerhand im Bergedorfer Testzentrum für 80 Euro einen PCR-Test. Dieses Geld hätten wir zwar lieber in Lüneburger Geschäften ausgegeben, aber eine ruhigere Tochter war es uns wert.“ Am Montag erhielt sie erleichtert ein negatives PCR-Ergebnis.

Was Wolfram Gesien nicht versteht: „Fachleute sagen, die Schnelltest sind nicht nur bis zu 60 Prozent falsch positiv, sondern auch in selber Höhe falsch negativ. Da frage ich mich, welchen Sinn dieser Schnelltest-Hype hat? Es wird eine Unmenge Geld in Tests investiert, die nicht viel oder gar nichts zur Besserung des Infektionsgeschehen beitragen.“ Zudem würden die Kapazitäten der Labore und Hilfsorganisationen ausgereizt und der lokalen, stark gebeutelten Wirtschaft entginge auch noch der Umsatz der vielen falsch positiv Getesteten. „Am schlimmsten finde ich jedoch die psychische Belastung der Falschtest-Opfer, die sich tagelang um sich und ihre Angehörigen sorgen und Gedanken um mögliche Ansteckungsorte machen, bis das Ergebnis des PCR-Tests vorliegt.“