Wem steht mein Trinkgeld zu?

Ein Topf fürs Trinkgeld: So wie im Hier & Heute verfahren viele Gastronomiebetriebe in Lüneburg. Der „Tip“ wird unter dem Service- und Tresenpersonal aufgeteilt. Foto: sst

Lüneburg. Die vielen Feiertage im Mai locken die Touristen in die Hotels. Die Cafés und Restaurants in der Lüneburger Innenstadt sind gut besucht, drinnen wie draußen. Zum guten Ton gehört es, dass sich Gäste, die gut bewirtet wurden, bei Servicekräften mit einem Trinkgeld bedanken. Doch wie viel gibt man? Was, wenn der Gast mit Karte statt in bar bezahlt? Und: Dürfen Servicekräfte das Geld einfach so behalten?

Dass Trinkgeld durchaus Streit­potenzial beinhaltet, berichtet Servicemitarbeiterin Eva Köster (Name geändert). Sie arbeitete zuletzt in einem Lüneburger Restaurant- und Hotelbetrieb: „Mein Chef bestand darauf, ihm das Trinkgeld zu geben, damit er es prozentual nach den Arbeitszeiten unter den Kollegen aufteilen kann.“ Trinkgeld über Kartenzahlung anzunehmen, habe er ihr komplett untersagt. „Als ich sagte, ich wolle dann gar kein Trinkgeld mehr annehmen, kündigte er mir fristlos“, berichtet die Frau. So etwas habe sie in ihren vielen Jahren in der Gastronomie noch nicht erlebt.

Arbeitgeber muss Trinkgeld weitergeben

War das Vorgehen ihres Chefs rechtlich in Ordnung? Wenn es nach der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) geht, nein: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Trinkgeld direkt an den Mitarbeiter weiterzugeben“, sagt Manuela Schäffer von der NGG. Und: „Seit 2002 sind Trinkgelder in voller Höhe steuerfrei, wenn es einen direkten und persönlichen Bezug zwischen Gast und Mitarbeiter gibt.“

Anders legt es Heinz-Georg Frieling vom Dehoga-Bezirksverband Lüneburg aus: „Wie in einem Betrieb mit Trinkgeldern umgegangen wird, bestimmt der Unternehmer oder Betriebsleiter. Häufig gibt es auch Regelungen – über mündliche Verabredungen, den Arbeitsvertrag oder über Betriebsvereinbarungen – wonach Trinkgelder in eine Gemeinschaftskasse fließen und anschließend unter allen Kollegen aufgeteilt werden – das sogenannte Tronc-System. Oder sie landen in einem Topf und werden für gemeinschaftliche Aktivitäten genutzt.“ So würden auch Servicemitarbeiter profitieren, die nicht kassieren dürfen oder Kollegen, die in der Küche arbeiten.

Eine direkte Beziehung zwischen Gast und Servicekraft

Allerdings: „Wir bewegen uns beim Topfmodell in einer steuerlichen Grauzone, weil der direkte und persönliche Bezug nicht mehr gegeben ist, wenn das Geld auch dem Küchen- oder dem Hotelpersonal zugute kommt“, merkt Gewerkschafterin Schäffer an. „Führt der Wirt das Topfmodell ein, müssen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem System zustimmen.“ Lehne jemand aus dem Team dieses Modell ab, darf er das Trinkgeld behalten, das direkt an ihn gegeben werde. So wollte es Eva Köster machen – sie wurde dafür gefeuert.

Und wie machen es andere Gastronomen? Die Lünepost hat sich in Lüneburger Lokalen umgehört, wie man dort mit dem Trinkgeld umgeht:
Arif Muku und Nihat Aliyev betreiben das Hemingway‘s in der Bardowickerstraße: „Wir Geschäftsführer haben mit dem Trinkgeld eigentlich nichts zu tun“, sagt Aliyev. „Das Geld, ob bar oder per Karte gezahlt, wird täglich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Service, Theke und Küche aufgeteilt. Egal, ob Vollzeit, Teilzeit oder Aushilfe.“
Im Café Hier & Heute am Sande berichtet ein Mitarbeiter: „Wir haben einen Becher auf dem Tresen, in den die Gäste ihr Trinkgeld werfen können.“ Von diesem Geld kaufe sich das ganze Team mittags oder abends Essen und Getränke. „Das Geld ist für uns alle da!“, sagt der Mann.

„Viele Servicekräfte leben vom Trinkgeld“

In der Kutscherstube an der Heiligengeiststraße verteilt Wirt Davide Piras das Trinkgeld: „Es wird sowohl auf die Service- als auch auf die Küchenkräfte aufgeteilt.
Aus dem Mälzer nebenan erklärt Matthias Reppe das Prozedere: „Trinkgeld ist eine persönliche Sache zwischen Gast und Service. Bei uns darf jeder sein Trinkgeld behalten. Allerdings gibt das Servicepersonal freiwillig Geld an die Kollegen in der Küche ab.“
Und für die Krone sagt Betriebsleiter Schahin Moshtael: „Wir führen zwei Prozent von dem, was der Gast zahlt, an die Küche ab. Viele zahlen mit Karte, da gibt es häufig leider kein Trinkgeld mehr.“ Ähnlich verfährt das benachbarte vegane Restaurant Sen: „Wir geben zwei Prozent an die Küche ab. Den Rest behält das Service-personal“, sagt ein Mitarbeiter.
Aus dem Coffee House No. 1 am Schrangenplatz sagt eine Servicekraft: „Am Ende des Tages wird abgerechnet. Wir teilen das Trinkgeld unter uns Mitarbeitern auf. Wer im Service arbeitet, gibt die Hälfte an das Thekenteam, davon geht dann ein Prozent an die Küchenleute. Trinkgeld ist eine persönliche Sache, der Kunde belohnt die Mitarbeiter. Da sollte der Chef sich nicht einmischen – und das tut er bei uns auch nicht.“

Ein Patentrezept, wie mit Trinkgeld umgangen wird, gibt es demnach nicht. Manuela Schäffer von der NGG rät: „Das Augenmerk der Beschäftigten im Gastgewerbe sollte sich auch vielmehr auf die Verbesserung ihrer Einkommen richten als auf das Trinkgeld. Denn die Höhe des Einkommens hat schließlich Einfluss auf die Rentenhöhe und Lohnersatzleistungen wie Kranken- und Arbeitslosengeld oder auch Kurzarbeitergeld.“

Doch natürlich freut sich jede Service- und Küchenkraft, wenn sie von den Gästen ein Danke in Form von ein paar Münzen bekommt. Denn ein Kellner verriet der Lünepost bei ihrer Runde durch die Lüneburger Lokale auch: „Viele Servicekräfte leben vom Trinkgeld. Es ist wichtig, dass für uns eine gute Regelung gefunden wird.“